Ein offenes Gespräch mit Geigerin, 1.Stimmführerin Deutsche Oper, Gründerin der El Akademia Masterclass Monia Rizkallah über Musik und ihre Arbeit und ihr Engagement in Marokko.
Interview von Brahim Oubaha
Musik verbindet. Sie hat etwas Verbindendes über Sprachbarrieren hinaus. Auf Deinen Reisen nach Marokko hast Du immer Deine Geige dabei. Wie ist Deine persönliche Erfahrung mit dem Einsatz der Musik zur kulturellen Annäherung zwischen den Völkern?
Musik ist eine universelle Sprache. Wir Musiker:innen sprechen sie mit unserem Herzen aus, um über alle Grenzen hinweg die Herzen unseres Publikums zu berühren. Musik hat die Kraft, Völker einander näherzubringen. Diese Erfahrung mache ich seit meiner Kindheit. Mein Vater war ein großer Musikliebhaber und es war selbstverständlich bei uns zu Hause Musik zu hören. Wir hörten alle Arten der Musik. Zum Beispiel die Meister der traditionellen arabischen Musik, die uns mit unserer Herkunft verband, nachdem meine Eltern nach Frankreich emigrierten. Auch Jazz wurde gehört, in dem wir großen afroamerikanischen Trompetern begegneten. In der klassischen Musik entdeckten wir die Seele österreichischer, deutscher und französischer Komponisten. Was für ein Eklektizismus! Wir waren neugierig und offen. Und mir wird jeden Tag aufs Neue beim Geigenunterricht die Kraft der Musik bewusst, die sie auf Kinder ausübt. Geduld, Zuhören und Verstehen sind Qualitäten, die beim Musizieren entwickelt und gefördert werden. Und genau diese Qualitäten helfen uns bei der Begegnung mit Anderen, um sich ihnen möglichst unvoreingenommen zu nähern und schließlich akzeptieren zu lernen.
Meinen Eltern, die nie selbst ein Musikinstrument gespielt haben, werde ich für immer dafür dankbar sein, dass sie mir als junges Mädchen das Musizieren ermöglicht haben. Mein großes Glück war es damals, meiner ersten Geigenlehrerin, Yvette Vallée, zu begegnen, mit der mich bis heute eine tiefe Freundschaft verbindet. Seitdem ist die Geige mein treuer Begleiter, der mich reisen ließ und mir unglaubliche Begegnungen bescherte.
Hier möchte ich die Teilnahme am World Orchestra for Peace hervorheben. Ein friedensförderndes internationales Orchester, welches zur Versöhnung und zum Wiederaufbau nach dem Krieg gegründet wurde. Auch mein Engagement im West-Eastern Divan Orchestra war für mich wegweisend. Dieses Symphonieorchester, welches auf die Initiative des christlichen amerikanisch-palästinensischen Schriftstellers Edward Said und des jüdisch-israelischen-argentinischen Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim entstand, strebt danach, den Dialog und den Frieden zwischen den Völkern und den Religionen zu fördern.
All diese Begegnungen und Erfahrungen haben mich dazu geführt, im Jahre 2017 das Projekt El Akademia ins Leben zu rufen. Hier werden talentierte junge marokkanische Musiker:innen auf ihrem Weg zu einer professionellen Karriere begleitet. Dabei werde ich von international renommierten Musiker:innen, Opernsänger:innen und Dirigenten unterstützt, die mirdabei helfen, ein immaterielles Erbe weiterzugeben. El Akademia ist ein fröhlicher “Schmelztiegel” aus marokkanischen und zugereisten internationalen Studenten vieler Nationen, der die Musiker:innen sowohl menschlich als auch musikalisch reifen lässt. Betreut durch internationale Coaches verbinden die Musiker:innen ähnliche Interessen und Ziele und vor allem die Musik, und das ohne Unterscheidung der Nationalitäten. Als musikalische nationenübergreifende Gemeinschaft touren wir als „Orchestre National des Jeunes du Maroc“ (ONJM ) durch verschiedene marokkanische Städte und schon bald auch international, wenn wir anlässlich des Young Euro Classic Festivals unsere Musiker Berlin entdecken lassen. Eine schöne Gelegenheit der Annäherung zwischen den Nationen.
Wie kannst Du eine große Bandbreite an Publikum mit Musik erreichen?
Die Musik und das Publikum? Eine Symbiose, die sich mit der Zeit erneuert. Die heutigen technischen Mittel haben sich mit digitalen, sozialen Netzwerken so sehr weiterentwickelt… man könnte meinen, dass ein wahres „Face-to-Face“ seinen Sinn verloren hat. Ich bin jedoch überzeugt, dass die Pandemie die Situation verändert hat. Sie hat uns gezeigt, dass das Face[1]to-Face nicht selbstverständlich ist. Wir brauchen das ins-Konzert-gehen, das Live-Erleben und die intensiven Emotionen, die nur diese Begegnungen von Angesicht zu Angesicht hervorrufen können. Man könnte denken, klassische Musik sei elitär, aber ich halte diese Meinung für restriktiv, wie die Liebe meines Vaters zu dieser Musik zeigt.
Ich habe auch festgestellt, dass die marokkanische Öffentlichkeit sehr neugierig ist. Offen für jede Art der Musik. Als ich 2008 meine erste Tournee in Marokko machte, war das Publikum wunderbar und ich fühlte sofort eine echte Gemeinschaft. Auch seit der ersten Edition der El Akademia Masterclass war das Publikum anwesend und wir gaben ein Abschlusskonzert vor vollem Haus. Seitdem ist der Erfolg sowohl ungebrochen als auch ununterbrochen. Aber, was braucht es dazu und was kann ruhig weggelassen werden? Was sind die Hebel? Nun sind die Konzerte von El Akademia kostenlos, so dass keine finanziellen Hürden bestehen. Dies gilt natürlich nicht für alle Konzerte, insbesondere für professionelle Orchester, aber es kann zum Entdecken motivieren und eine Leidenschaft wecken. Dann bewegen wir uns in den Wilayas, damit die Musik so vielen Menschen wie möglich zugänglich ist, und wir diversifizieren die Herangehensweise mit Streifzügen durch die Straßen der Städte, intimen Kammermusikkonzerten in den Riads und großen Konzerten unter freiem Himmel.
Außerdem bieten wir dem Publikum ein sehr abwechslungsreiches Programm, das Jazz, klassische und orientalische Musik mischt, um unterschiedliche Sensibilitäten zu befriedigen und das Feld der Möglichkeiten zu öffnen. Wir entwickeln uns weiter und wir passen uns an… Ich bin auch davon überzeugt, dass man, um das Publikum für klassische Musik zu erweitern, Kinder so früh wie möglich dazu bringen soll, klassische Musik zu hören und ein Instrument zu spielen. Es muss zur Gewohnheit werden, zur Lebenseinstellung, und das nicht nur in Familien, deren Eltern musikbegeistert sind. Außerdem, wenn ich mir einen Appell an den Staat erlauben könnte, würde ich ihn bitten, Musikunterricht in den Schulen ab dem Kindergarten zu ermöglichen, noch bevor Mathematik oder Fremdsprachen unterrichtet werden. Dies ist der Traum einer Musikerin, die nicht vergisst, dass das Kulturministerium seit der Ernennung von Herrn Mehdi Bensaid zum Kulturminister stark involviert ist, und die ihm auch für die Unterstützung des Projekts El Akademia sehr dankbar ist.
Uns sind deutsche und marokkanische Musiker:innen bekannt, die einzeln aktiv sind. Aber bis jetzt gibt es keine Vereine oder Stiftungen, die sie zusammenbringen, sodass sie verstärkt ihre Musik für mehr kulturelle Annährung zwischen den beiden Ländern nutzen können. Wie ist Deine Erfahrung mit Projekt El akademia Masterclass?
Musiker: innen sind oft Weltenbummler: innen und ich kenne kein großes Orchester, das nicht Musiker:innen mehrerer Nationalitäten zusammenbringt.
Ich möchte auch glauben, dass es immer mehr Initiativen gibt, die darauf abzielen, das Land meiner Herkunft, Marokko, und mein Geburtsland, Frankreich, oder meiner Wahlheimat, Deutschland, näher zusammenzubringen. Multinationale Projekte können durchgeführt werden, wenn sie die Unterstützung der offiziellen Behörden der verschiedenen beteiligten Länder erhalten. Ich habe das beim Projekt El Akademia erlebt, das sich der marokkanischen Jugend widmet und im Rahmen eines deutschen Vereins und eines marokkanischen Vereins aufgebaut wurde. El Akademia profitiert von deutscher und marokkanischer institutioneller Unterstützung, die die Entwicklung erleichtert. Ich nutze diese Gelegenheit auch, um Seiner Majestät, König Mohammed VI., ganz besonders für das Vertrauen zu danken, das er uns seit mehreren Jahren erneuert, indem er unsere Konzerte unter den Vorsitz Ihrer Königlichen Hoheit, Prinzessin Lalla Meryem, gestellt und indem er die Teilnahme von Musiker:innen des marokkanischen Armeekorps am Projekt autorisiert hat. Auch Herrn Azziman, Berater des marokkanischen Königs Mohammed VI, möchte ich für seine große Unterstützung danken. Meisterkurse und Konzerte sind für Studenten bzw.die Öffentlichkeit kostenlos. Aber natürlich haben sie ihren Preis. Das Projekt wird daher von Sponsoren finanziert.
Es stimmt, dass wir hier auf eine Schwierigkeit stoßen. El Akademia wird größtenteils von Deutschland aus vorbereitet, wo ich lebe. Dadurch sind die Dienstleister Deutsche und ich habe große Schwierigkeiten, sie in Euro zu bezahlen, während die Gelder größtenteils von marokkanischen Firmen, Stiftungen oder Ministerien eingebracht und somit in Dirham eingezogen werden. Eine Vereinfachung der administrativen und finanziellen Abwicklung deutsch-marokkanischer Projekte und im weiteren Sinne multinationaler Projekte würde es ermöglichen, mehr Zeit für das Herzstück dieser Projekte aufzuwenden. Denn diese Projekte sind für jedes der beteiligten Länder wichtig. Wenn ich das Beispiel von El Akademia nehme, ermöglicht das Projekt durch die Beteiligung von Trainern und Jugendlichen aus dem In- und Ausland, Brücken zwischen verschiedenen Ländern zu bauen. Sie fördert das Zusammenleben, den Respekt und das gegenseitige Verständnis unserer Bürgerinnen und Bürger von morgen. Dabei ist dies ein Stein im mehr als instabilen Gebäude einer Welt des Friedens und der Toleranz. Dies ist ein Projekt, das unsere jungen Menschen und unsere Welt brauchen.
Interview mit Monia Rizkallah , geführt von Brahim Oubaha. Das Interview erschien erstmalig 2023 im Magazin „TIMA“. Diese Ausgabe ist bei Amazon erhältlich unter: https://www.amazon.de/dp/B0BW2JDHD8
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