Interview von Brahim Oubaha
Herzlichen Dank, Reinhard Kiefer, dass Du Dir Zeit genommen hast, mit dem Tima Magazin dieses Interview zu machen.
Kannst Du uns zuerst einmal über Dich etwas erzählen und Deine Beziehung zu Marokko und Agadir?
Ich bin 1956 geboren und habe nach dem Abitur Germanistik und Theologie studiert. Schon früh habe ich mit dem Schreiben begonnen. In den 70er Jahren sind erste Texte von mir erschienen. Seit 1981 veröffentlicht der Rimbaud Verlag meine Bücher. Es handelt sich um erzählende Prosa, Gedichte und Aufzeichnungen. Neben der literarischen Arbeit habe ich mich auch wissenschaftlich betätigt. Die deutsche Lyrik nach 1945 hat mein besonderes Interesse gefunden. Vor allem war es der Lyriker Ernst Meister, mit dem ich mich intensiv auseinandergesetzt habe.
Jetzt zu meiner Beziehung zu Agadir. Zum ersten Mal war ich 1978 in Agadir, und damals hat es mir nicht sehr gefallen. Ich war mit einem Onkel im Juni oder Juli für drei Wochen in Agadir und es herrschte immerzu Nebel. Einige Jahre später war ich im Winter in Agadir, und das war wundervoll. Damals war ich Student und ich hatte nur wenig Geld, Agadir und Marokko waren günstig, man brauchte nicht viel Geld. Außerdem spielte der Tourismus nicht eine so große Rolle, so dass man das Gefühl haben konnte, dass man nicht nur Inszenierungen für Touristen, sondern wirkliches Leben mitbekommt. Seit 1981 reise ich regelmäßig nach Agadir und habe dort auch immer viel geschrieben, natürlich auch Tagebuch geführt. Wenn man jahrelang an den selben Ort fährt, dann stellt sich eine Art von Vertrautheit ein, das Gefühl, dort zu Hause zu sein.
Du hast zwei Werke über Agadir geschrieben: „Die Goldene Düne“ und „Café Moka. Nachschreibungen zu Agadir“ Wie kamst Du auf die Idee, über Agadir zu schreiben?
Dass ich über Agadir und Marokko schreibe, habe ich nicht geplant. Der Aufenthalt in Agadir, die Reisen in die Umgebung, die Begegnung mit unterschiedlichsten Menschen führten zu Notizen, und diese waren Voraussetzungen für Bücher.
Du kennst Agadir schon seit 40 Jahren. Da begannst Du über diese Stadt zu schreiben. Wie erlebst Du die Veränderungen, die Agadir erfährt?
Ich habe beträchtliche Veränderungen erlebt. Agadir war ursprünglich eine verschlafene Kleinstadt.
Es war ursprünglich eine andere Welt, die einem dort begegnete. Jetzt merkt man überstark den europäischen Einfluss und auch den der Golfstaaten. Beim Umbau von Agadir, der zurzeit geschieht, werden zuweilen gewachsene Strukturen zerstört, das finde ich schade.
Was bedeutet Agadir für Dich?
Ich kann nur sagen: Agadir ist für mich wie eine zweite Heimat. Wenn ich in Talborjt bin oder im Quartier industriel, dann weiß ich, ich gehöre hierher… Vielleicht ist das etwas vermessen, doch meine Gefühlslage ist so.
In Deinen zwei Werken kann der Leser bemerken, dass Du auch über die deutsche kulturelle Präsenz in Agadir schreibst, als Agadir noch ein Lieblingsurlaubziel der Deutschen war. Kann man sagen, dass Agadir in dieser Zeit wie ein Mallorca der Deutschen war?
Ja, eine Zeitlang schien es so, als hätte Agadir das Zeug dazu, für die Deutschen ein zweites Mallorca zu werden. Aber ich denke, das ist kein Thema mehr. Die vielen Hotels, die leer stehen, hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck. Die Zerstörung von ursprünglicher Landschaft – man denke nur daran, dass die goldene Düne abgetragen wurde für banale Hotelbauten – zeigt an, dass man den Bedürfnissen eines modernen Tourismus nicht gerecht wird. Zuviel Stein, zu viel Beton, zu große und zu leere Plätze schrecken die Deutschen mittlerweile ab…
Marokko als Land hat schon viele berühmte Weltliteraturautoren wie Paul Bowles inspiriert, und Marokko ist tatsächlich ein facettenreiches, vielseitiges, offenes und kulturreiches Land. Viele Philosophen und Autoren sind nach Marokko gereist und wurden dadurch inspiriert. Ist das auch der Fall für Dich?
Ja, das kann ich nur bekräftigen. Die Gesänge, die Frömmigkeitsformen, die Bildlichkeit der Marokkaner sprechen mich an und inspirieren mich.
Wie versuchst Du mit Deinen Werken diesen Reichtum und die Vielfalt Agadirs widerzuspiegeln und den vernachlässigten Seiten Agadirs eine Bedeutung zu verleihen und sie sichtbar zu machen?
Ich versuche das zu benennen und zu beschreiben, was ich erfahren habe, was ich empfunden habe und was ich gedacht habe. Es sind ja oft ganz alltägliche Szenen oder Situationen, die ich beschreibe –manchmal komische, manchmal traurige. In „Café Moka“ wurde ein lange existierendes Café zur Bühne für die unterschiedlichsten Ereignisse.
Manche kommen am Anfang mit vielen Klischees nach Marokko, besonders die Touristen, und suchen hier etwas Exotisches. Ist es als Schriftsteller eine Herausforderung, über Marokko zu schreiben und diese exotischen Bilder beim Schreiben zu vermeiden?
Eigentlich zieht mich das Exotische nicht so an, sondern die gelebte Alltäglichkeit. Die Leute sitzen in Cafés, sie sitzen im Taxi collectif, sie streiten oder schlichten Streit… das interessiert mich immer noch.
Könnten wir sagen, dass Deine Werke zur deutschsprachigen maghrebinischen Literatur zählen?
Ich würde eine solche Einordnung nicht ablehnen. Obwohl ich ja auch sehe, dass ich nicht wirklich dazu gehöre, denn meine Arbeiten haben die deutsche Literatur der Romantik und der Moderne zum Ausgangspunkt.
Deine Bücher wurden auch ins Arabische übersetzt. Wie siehst Du die Bedeutung der Übersetzung ins Arabische und umgekehrt ins Deutsche bei der Verständigung zwischen Kulturen?
Ich halte das für sehr wichtig. In Deutschland leben sehr viele Marokkaner, insofern ist es nur wünschenswert, wenn man auch ihren kulturellen – und nicht nur ihren religiösen oder sozialen – Hintergrund zur Sprache brächte.
Du bist ein kultureller Vermittler und Brückenbauer zwischen verschiedenen Kulturen und Völkern nicht nur über Literatur, sondern auch mit deiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Theologe. Wie siehst Du heutzutage die Wichtigkeit der Kulturdiplomatie und des interreligiösen Dialogs zwischen Marokko und Deutschland sowie den kulturellen Dialog zwischen Autor*innen und Schriftsteller*innen der beiden Länder?
Natürlich sollten sich die Schriftsteller aus beiden Ländern besser kennenlernen! Die marokkanische Literatur ist in Deutschland ziemlich unbekannt. Das sollte man ändern. Zudem interessiere ich mich für den interreligiösen Dialog und denke, dass man die Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Islam deutlicher machen muss – hierzu vor allen Dingen die Erkenntnis, dass Christen und Muslime, wenn auch in unterschiedlicher Weise, von dem einen Gott sprechen und ihn vor der Welt bezeugen.
Dieser Beitrag erschien erstmalig 2023 im Magazin „TIMA“. Diese Ausgabe ist bei Amazon erhältlich unter: https://www.amazon.de/dp/B0BW2JDHD8
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