Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Mitbürgerinnen!
Wie schon der bekannte Humorist Heinz Erhardt einmal sagte: „Es ist leichter den Mund zu halten als eine Rede“. Ich möchte aber trotzdem versuchen, heute einen Überblick über mein Leben vor und nach der Einbürgerung darzustellen. Leidenschaftlicher Fußballspieler, ein Kind aus den Baracken – bis vor 7 Jahren war ich nicht mehr als das. Im ärmsten Viertel der wunderschönen marokkanischen Stadt Fes aufgewachsen, wurde ich früh mit der Realität des Lebens konfrontiert: als ältester Bruder, ohne Vater war ich gezwungen als Kind bereits zu arbeiten, neben der Schule, nachts las ich im Schein der Straßenlaternen und lernte bis ich vor Müdigkeit einnickte. Mir wurde bald bewusst, dass Bildung und Sport die Schlüssel zu einem besseren Leben sein konnten – und ich hatte recht! Fußball begleitet mich seither durch mein ganzen Leben, ich schaffte mein Abitur mit 18 und studierte schließlich Germanistik. Doch mein Zugang zur deutschen Sprache begann ebenfalls über Fußball: Obwohl ich ein Kind der 90er bin, waren es Videos von Günter Netzers Spieler-Talent, die mich zum deutschen Fußball brachten.
Ich wurde schließlich der jüngste Trainer mit C-Lizenz in Marokko und engagierte mich in verschiedenen sozialen Vereinen im Bereich Sport und Bildung.
Mein erster Aufenthalt in Deutschland, ein Sommersprachkurs über den DAAD in Frankfurt am Main 2014, verschaffte mir erst einmal einen kleinen Kulturschock. Meine Erwartung, mich bereits am Flughafen über Goethe, Schiller und Lessing austauschen zukönnen, wurde bitter enttäuscht, als bei der Ankunft zunächst mein marokkanisches Gebäck (nicht „Gepäck“, sondern selbstgebackenen Süßigkeiten von meiner Mutter) konfisziert wurde und nur nach vielen Überredung und Kostproben vom Zoll mir wieder ausgehändigt wurde. Dass es im Sommer regnen und kalt sein könnte, hatte ich mir auch nie vorstellen können.
Ich war nur das Kind aus den Baracken, dass bis dahin noch nie in Europa gewesen war.
Doch der Sommerkurs mit internationalen Stipendiat*innen, der Austausch in der deutschen Sprache, war für mich eine wichtige Erfahrung und auch Motivation, meinen Bachelor mit guten Noten abzuschließen. Denn das Studium durchzuziehen war angesichts meiner schwierigen Lage und vieler Verantwortungen nicht immer leicht…
Bei der Betrachtung meines damaligen Lebens wird mir wieder bewusst, dass der Mensch ein soziales Wesen und auch immer wieder manchen Situationen hilflos ausgeliefert ist. Ein gutes Netzwerk, Unterstützung und Orientierung sind in solchen Phasen unglaublich wichtig!
Dass ich diese Möglichkeiten hatte, dafür bin ich immer noch sehr dankbar. Willy Brandt hat einmal gesagt: „Zur Summe meines Lebens gehört im Übrigen, dass es Ausweglosigkeiten nicht gibt“.
Denn Verzweiflung oder Ausweglosigkeit habe ich nie gespürt – ich wusste irgendwie immer instinktiv, dass es weiter geht und ich es schaffen kann. Als ich zum Beispiel meinen Traum von einem weiterführenden Studium in Deutschland wegen der fehlenden Finanzierung aufgeben musste, erfuhr ich zufällig vom Internationalen Parlamentsstipendium im deutschen Bundestag. Für mich war Politik schon im Germanistikstudium ein spannender Bereich gewesen und ich verbesserte täglich meine Sprachkenntnisse durch Videos über politische Talkshows und Debatten im Bundestag. Ich war fasziniert von vielen Biografien deutscher Politiker wie Willy Brandt, Gregor Gysi, Norbert Lammert u.a. Ich bewarb mich schließlich kurzfristig auf das Stipendium und bekam tatsächlich die Zusage!
Ende Februar 2016 war ich wieder in Deutschland – diesmal in Berlin, im Bundestag (wo das Herz der Demokratie schlägt)! Vor dem Flug konnte ich tagelang nicht schlafen. Es war verrückt: Gerade noch war der Strom in meinem Zimmer ausgefallen und es regnete durch das Dach und morgen traf ich Angela Merkel…
In dieses architektonisch außergewöhnliche Haus zu kommen, das bekannt war für seine Debattenkultur und in dem große internationale und nationale Entscheidungen getroffen wurden, machte mich ehrfürchtig und stolz. Für diese Möglichkeit und Chance bin ich mein ganzes Lebens dankbar. Das Praktikum absolvierte ich bei einem Abgeordneten aus NRW, der u. a. für den Bereich Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschutz zuständig war. Für mich absolutes Neuland, aber nicht minder spannend. Durch seine Unterstützung und besonders auch die seines Teams erlangte ich einen umfassenden Einblick in das tägliche Geschehen im Bundestag und durfte viel hinter die Kulissen schauen. Eine Erfahrung, die mich bis heute bereichert und mir immer wieder von Nutzen ist.
Neben der Arbeit mit einem Abgeordneten nahmen wir im IPS an Seminaren und Workshops zu Themen wie das Rechtsstaatssystem, Demokratie, Toleranz und Meinungsfreiheit teil, die meinen Charakter definitiv geprägt haben. Ich erweiterte nicht nur mein politisches Wissen, sondern auch mein Interesse an persönlicher, kultureller und religiöser Diversität. Bereits aus meiner Heimatstadt Fes kannte ich die friedliche Koexistenz von Synagogen, Kirchen und Moscheen, doch Berlin fasziniert mich diesbezüglich: Die konfessionelle Vielfalt innerhalb der Religionsgemeinschaften beeindruckte mich und besonders der Umgang mit Antisemitismus und jüdischer Kultur. Sich mit deutschsprachigen Stipendiat*innen aus unterschiedlichen Ländern austauschen zu können, besonders über die Aufarbeitung der deutschen Geschichte (und dazu gehört auch die Erinnerungskultur), erfüllt mich heute als deutschen Staatsbürger mit Stolz und Demuth.
Zum Ende des Praktikums bewarb ich mich auf eine FSJ-Stelle in einem Jugendclub, in der ich jedoch aus bürokratischen Gründen nicht bleiben konnte. Die Ausländerbehörde entschied willkürlich, dass ich für einen neuen Aufenthaltstitel zunächst in die Heimat zurückkehren musste, um das Visum von dort wieder neu zu beantragen. So positiv, wie ich bis zu diesem Zeitpunkt den deutschen Rechtsstaat betrachtet hatte, so negativ war diese überbürokratische Erfahrung für mich. Nichtsdestotrotz stellte ich später fest, dass Bürokratie ein Mittel gegen Korruption darstellt, jedoch wäre etwas weniger für alle Beteiligten manchmal nicht schlecht…
Mich auf ein FSJ zu bewerben kam nicht von ungefähr. Abgesehen davon, dass es für junge Leute in Deutschland eine unglaublich tolle und wichtige Möglichkeit darstellt, Erfahrungen in sozialen Bereichen zu sammeln, war es für mich bereits in Marokko ein Anliegen gewesen, mich sozial zu engagieren, besonders im Kontext von Sport und der Arbeit mit Geflüchteten aus der Subsahara.
Mit dieser Erfahrung schaffte ich den Sprung in die Arbeitswelt in Deutschland. Durch meine Sprachfähigkeiten hatte ich im Kontext der „Flüchtlingswelle“ einige Jobmöglichkeiten, doch durch meine Vorgeschichte war klar, dass die Stelle im Projekt „SPORTBUNT – Vereine leben Vielfalt“ beim Landessportbund in Berlin prädestiniert für mich war. Noch heute ist für mich die Arbeit in diesem Projekt kein Job, sondern eigentlich eine „bezahlte Selbstverwirklichung“.
Mit meinen Kollegen und Kolleginnen habe ich großes Glück, sie haben mir nie das Gefühl gegeben, ein Fremder zu sein. Besonders als ich neu war, haben sie mich immer unterstützt und mir Zeit zum Einarbeiten gegeben. Das bedeutet mir viel!
Ich konnte nun endlich meine Fähigkeiten wie Sprachkenntnisse, soziale und emotionale Intelligenz fürs Projekt nutzen und als Stärken wahrnehmen, und war froh, dass ich nicht aufgegeben hatte. Ausdauer und seine Fähigkeiten bewusst als Teamplayer einsetzen – das kannte ich schon aus dem Fußball! Eigentlich ganz logisch und doch im Arbeitsalltag nicht immer klar…
Doch genau das half mir bei meinen täglichen Aufgaben als Sport-Integrationscoach: Integration funktioniert ähnlich. Bring dich ins Spiel ein mit deinen Stärken, respektiere die Regeln des Spiels und deine Mitspieler*innen! Es geht nicht ums Gewinnen oder wer besser ist, sondern um das Miteinander!
Genau deshalb fasziniert mich Sport als Integrationsmotor: Klar ist Sport nicht per se integrativ und auch keine eierlegende Wollmilchsau, aber Sport verbindet und schafft Räume, wo sich Menschen jeglicher Herkunft, Sprache, Religion treffen können, miteinander reden und nicht übereinander Vorurteile verbreiten. Sport kann eine soziale Heimat schaffen und ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln. Ich bin viel unterwegs und habe viele Integrationsprogramme anderer Länder gesehen und erlebt. Unser Deutschland, dieses Deutschland ist stark und hat nicht nur heute, sondern seit Jahren eine hervorragendes Integrationsarbeit geleistet!
Man muss sich vorstellen, dass dieses Land, das vor weniger als 4 Generationen ein schreckliches Verbrechen an der Menschheit begangen hat, heute ein Land der Sehnsucht ist. Nicht nur für internationale Studierende und Arbeitssuchende, sondern vor allem als ein sicherer Ort für viele Menschen, die vom Krieg und Elend geflohen sind! Unser Land hat gezeigt, dass es nur wenige Generationen braucht, um das Richtige zu tun!
Wer die Geschichte Deutschlands gut kennt, weiß, wir sind ein Einwanderungsland – nicht erst seit ein paar Jahren, sondern seit Jahrhunderten – und das soll auch so bleiben! Denn Deutschland ist ein Land, das immer von der kulturellen Vielfallt profitiert hat, aber auch ein Land, das diese sorgfältig unterstützt und fördert.
In meiner Arbeit in Berlin erlebe ich das Tag für Tag: Ich sehe wie effektiv die Projekte und Programme sind, die sich für das Thema Vielfalt und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft einsetzen. Und auch die Tatsache, dass jemand mit dem Namen Mohammed hier und heute diese Rede hält, war vor 30 Jahren noch undenkbar… Das verdanken wir vielen Politikerinnern und Politikern, die nicht nach Umfragen gehandelt haben, sondern nach ihrer Überzeugung.
Dass Migration natürlich ein Land vor Herausforderungen stellt, ist nicht zu leugnen. Wie es in jeder Gesellschaft Menschen gibt, die Migrant*innen ablehnen, so gibt es auch Menschen, die integrationsunwillig sind oder sogar die Sicherheit des Staates gefährden können. Und hier hat unser Land in vielen Fällen vernünftig und im Rahmen der Rechtstaatlichkeit reagiert. In diesem Zusammenhang war es aber vermutlich mein Name, der mir zum Verhängnis wurde: Kurz nach der Geburt meines Sohnes erhielt ich einen Brief vom Generalbundesanwalt. Das Schreiben lautete kurz gefasst: „Da wir dazu verpflichtet sind, Sie zu informieren, tun wir dies hiermit: Sie wurden telefonisch überwacht, da sie über fünf Ecken Kontakt zu jemandem hatten, der als Gefährder eingestuft wurde. Aber keine Sorge, alles ist gut.“ Ich fiel aus allen Wolken! Das Land, das ich so schätzte, hatte mich überwacht! Nur wegen eines Kontakts durch meine Arbeit mit geflüchteten Menschen; nur weil ich mit jemandem auf Arabisch kommuniziert hatte. Das war für mich hart zu realisieren.
Ich versuchte dem Fakt, dass der Staat dazu verpflichte war, mir dies mitzuteilen, etwas Positives abzugewinnen. Aber es fiel mir schwer. Ich konnte nur dankbar dafür sein, dass es den Artikel 1 des Grundgesetztes gab und ich in Deutschland lebte und in keinem Staat, in dem Folter legal war… Ich zog Stärke aus der Unterstützung meiner Familie und meiner Kolleginnen und Vorgesetzten.
In schwierigen Zeiten Menschen zu haben, die an einen glauben und einen nicht fallen lassen, ist ein großes Geschenk. Meine größte Sorge war, dass dadurch meine Chance verfiel, die vor einigen Monaten beantragte Staatsbürgerschaft tatsächlich auch zu erhalten. Die Staatsbürgerschaft, die für mich nämlich nicht nur ein Stück Papier oder Reisefreiheit bedeutete, sondern in der ich einen Auftrag sehe, um die Werte dieses Landes weltweit zu vertreten: Freiheit, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, Demokratie…
Ganze Zwei Jahre musste ich warten, bis es soweit war, obwohl ich so integrationsbereit wie kein anderer war: Ob 0 Fehler im Integrationstest, die Verehrung von Günther Netzer, meine tägliche Dosis Erich Fromm oder die durch meine Schwiegerfamilie vermittelte Liebe zu Fränkischem Brot und Sauerkraut – ich wollte es mit Leib und Seele! Doch Spaß beiseite: Für mich bedeutet Integration auch, ein Stück Verantwortung zu nehmen für die Gesellschaft in der ich lebe und Brücken zwischen Kulturen zu bauen! Ganz frei nach John F Kennedy: „Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt.“ Denn Integration ist wie eine Liebesbeziehung – nie einseitig, sondern immer ein Eingeständnis füreinander, um sich gegenseitig wertzuschätzen und sich nahe zu bleiben.
Dies schaffe ich nicht nur in meiner hauptamtlichen Tätigkeit, sondern auch durch mein Engagement als stellvertretender Vorsitzender der OHDE Stiftung und als Mediator für Gewaltprävention.
Ich schließe ab mit einem Zitat von unserem Bundespräsidenten Dr. Steinmeier: „Es kommt nicht darauf an, dass alle dasselbe tun – aber dass wir eines gemeinsam im Sinn haben: alles zu stärken, was uns verbindet!“ In Berlin eingebürgert zu werden, ist für mich eine große Ehre! Berlin war für mich immer ein Symbol der Freiheit, eine offene und bunte Stadt – und das ist gut so!
Ich verdanke diesem Land, dessen Staatsbürger ich nun sein darf, viel: Chance auf bessere Bildung, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und vor allem die Staatsbürgerschaft. Sie ist mehr als die Mitgliedschaft in einem Fußballverein. Sie bietet die Möglichkeit, dass ich auch mitgestalten kann und für mich dieselben Regeln, derselbe Schutz aber auch Pflichten gelten wie gegenüber anderen Bürgerinnen und Bürgern. Ich bedanke mich für diese großartige Chance. Vielen herzlichen Dank für die Einladung und die Möglichkeit hier heute diese Rede halten zu dürfen!
Das Kind aus den Baracken sagt: „Danke“
(Mohammed ELOuahhabi)
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