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Im Gespräch mit Prof. Dr. Jalid Sehouli
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Im Gespräch mit Prof. Dr. Jalid Sehouli

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Du bist deutscher Gynäkologe und Onkologe mit dem Schwerpunkt Eierstock-, Bauchfell- und Eileiterkrebs sowie Hochschullehrer. Du bist viel im medizinischen Bereich unterwegs, erforschst insbesondere die Krebsmedizin und schreibst unzählige wissenschaftliche Beiträge. Auf den ersten Blick denkt man, man hat einen Wissenschaftler und Arzt vor sich, der sich nur der Forschung und der Klinik widmet. Jedoch nimmst Du Dir noch Zeit für Belletristik und für zivilgesellschaftliche Initiativen. Du bist Autor von drei belletristischen Werken, deren Handlungen unter anderem in der Heimat Deiner Eltern Marokko ihren Schwerpunkt haben. In diesem Interview möchten wir mit Dir über Deine Arbeit als Arzt, Wissenschaftler und über Deine Leidenschaft als Autor, Schriftsteller und auch über andere Themen diskutieren.

Wie siehst Du jetzt die Bedeutung der Integration der Kultur, Kunst, Literatur, Musik…-   in die Medizin bei der Kommunikation und Behandlung der Patient*innen?

Wissenschaftler, Arzt und Schriftsteller zu sein klingt auf den ersten Blick seltsam, ist aber gar nicht so unterschiedlich in den Haltungen dieser Berufe. All diese Berufsgruppen nutzen die Sprache als Instrument, um in Beziehung zu gehen, in Beziehung mit sich selbst und mit anderen Menschen. Die Literatur begann damals, vor mehreren Jahrtausenden, mit Sprechen und nicht mit Schreiben. Die Wörter der Literatur wurden von den Geschichtenerzählern geboren. Deswegen ist das Geschichtenerzählen auch als Teil der gesundheitlichen Aufklärung in der heutigen medizinischen Ausbildung wieder eingeführt (story telling). So wurde auch das Wissen von Ibn Sina und anderen wissenschaftlichen Gelehrten weitergetragen, über Reden und Gespräche. Für mich persönlich ist die Literatur ein ideales Instrument, um mich selbst zu reflektieren und Abstand zu nehmen, aber auch um die Dinge in einer anderen Perspektiven zu betrachten. Auch kann in der Medizin Literatur mehr als jetzt zum Lehren und Lernen aber auch zur Krankheitsbewältigung und Gesundheitsstärkung genutzt werden, d.h. dass man die Perspektive des*der Patient*in, des*der Angehörigen und auch die Emotionen, die mit einer Krankheit verbunden sind, darstellt und versteht, um sie dann bei anderen Kommunikationsstrategien berücksichtigen zu können. Das Thema kreatives Schreiben habe ich daher in unsere Klinik eingeführt als erste deutsche Universitätsklinik überhaupt, weil Schreiben mir persönlich geholfen hat, aber auch bei der Krankheitsbewältigung und Gesundheitsstärkung helfen kann.

PROF. DR. JALID SEHOULI

Marokko als Land hat schon viele berühmte Weltliteraturautoren wie Paul Bowles inspiriert, und Marokko ist tatsächlich ein facettenreiches, vielseitiges und offenes und kulturreiches Land. Viele Philosophen, Autoren sind nach Marokko gereist und wurden inspiriert. Ist das auch der Fall für Dich?

Wie versuchst Du mit deinen Werken, diesen Reichtum und die Vielfalt Marokkos widerzuspiegeln, und den vernachlässigten Sinnen Marokkos eine Bedeutung zu verleihen und sichtbar zu machen?

Marokko ist ein wunderbares Symbol für Vielfältigkeit, die all unsere Sinne berührt. Nicht nur die Farben, die man sieht, sind gemeint, sondern auch die musikalischen aber auch belletristischen Eindrücke, die aus dem Ursprung der verschiedensten Kulturen in Marokko sich zeigen. Mein erstes belletristisches Buch Marrakesch öffnete mein Herz für die Literatur und gab mir die Möglichkeit mit mir selbst mit meinem Herzen und meiner Seele in Dialog zu kommen. Deswegen kann ich sehr gut verstehen, dass Schriftsteller wie Paul Bowles und viele andere von Marokko, von Marrakesch aber auch von den anderen Städten inspiriert und motiviert werden, mit sich selbst und mit anderen Menschen in künstlerischen Dialog zu gehen.   Wenn ich Marokko berühre, berühre ich mein kulturelles Erbe, meine Seele, meinen Geist und meine Seele, das sind ideale Böden für meine Literatur.

Dein Schreibstil erinnert mich an den Schreibstil vom Tanger-Schriftsteller Mohammed Choukri. Er schreibt auch mit einer gewissen Naivität und mit einer Nacktheit bzw.  direkten Sprache.

Ja, die Literatur von Choukri hat mich sehr inspiriert. Leider habe ich ihn selbst nie begegnet, kenne aber zum Glück viele Menschen in Tanger, die ihn sehr gut kannten und mir viel über ihn berichteten. Mich hat beim Schreiben meiner Geschichten besonders bestärkt, dass es in seinen Werken nicht nur um die Wahrheit, die Authentizität, Direktheit und die Kunst der Melodie der Sprache, sondern auch um die Botschaft, die Ehrlichkeit und die Nacktheit der Emotionen und Gedanken geht. Und das ist das, was ich auch versuche, in meinen Büchern auszusprechen. Dass man die Emotionen ausspricht, ohne sie dem Leser zu erklären, sie einfach wirken lässt und der Leser auch seine Gedanken und Gefühle in meine Geschichten hereintragen kann. Man muss nicht immer allen die Welt erklären, aber ihnen vielleicht helfen sie anders wahrzunehmen, anders zu sehen und ermutigen den Dialog mit anderen Menschen zu suchen.

Und von Tanger fahren die Boote nach irgendwo

Könnten wir sagen, dass deine Werke Marrakesch und Tanger zur deutschsprachigen maghrebinischen Literatur zählen?

Ich denke, dass ich zu einer neuen Ära der dritten Generation der Literatur gehöre und diese mitgestalten möchte. Und das hat mir auch Taher Benjelloun vor einigen Jahren bei seinem Besuch in Berlin so gesagt, dass ich ein Vertreter der neuen Generation bin. Es gab den Marokkaner in Marokko, den Marokkaner, der dann im Ausland geschrieben hat. Ich bin der Marokkaner, der in einem anderen Land geboren ist, alle gehören irgendwie zusammen, haben aber alle ihren eigenen Charakter. Jedes dieser Werke hat natürlich ihre eigene literarische Qualität und Melodie und ist eine Bereicherung in der belletristischen Welt.

Deine Bücher wurden auch ins Arabische übersetzt und auch Reiselesungen mit der arabischen Übersetzung wurden organisiert. Welchen Eindruck hast Du von der Arabisch sprechenden Leserschaft bekommen?

Die Gespräche mit der Leserschaft bei meinen Lesungen in Tanger, Marrakesch, Rabat und Casablanca haben mich sehr beeindruckt und haben mich auch bei meinen Geschichten beeinflusst, denn als Berliner Junge mit marokkanischen Genen hatte ich lange Jahre keine direkte Verbindung zur literarischen Gemeinschaft in Marokko. Jetzt genieße ich die vielen Dialoge und freue mich über das positive Feedback meiner inzwischen auch ins Arabische übersetzte Bücher.

Die neue Weltliteratur hat große Autor*innen hervorgebracht. Und Viele von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Haben solche Autoren*innen wie Du die deutsche Literatur auch bereichert? Nicht nur thematisch, sondern auch in der Art, wie sie mit den Kulturmischungen umgehen, wie sie ihr eigenes kulturelles Gepäck in die deutsche Kultur einbringen, wie sie die beiden Kulturen miteinander amalgamieren und ihre eigene Lebensgeschichte, ihre eigenen Traditionen integrieren.

Ich denke schon, dass ich auch die deutsche Literaturwelt bereichert habe, zumindest versuche ich das. Ich war glücklich, dass das Goethe Institut in Marokko mich als deutschen Vertreter bei der internationalen Buchmesse in Casablanca ausgewählt hatte und wir jetzt gemeinsam viele Podcaste entwickeln und dass ich auch hier in Deutschland eine wunderbarte Möglichkeit habe, mich literarisch hier zu präsentieren und somit auch Deutschland für mich neu entdecke.

Du bist ein kultureller Vermittler und Brückenbauer zwischen verschiedenen Kulturen und Völkern nicht nur über Literatur, sondern auch mit deiner wissenschaftlichen Tätigkeit und deinem sozialen Engagement. Du hast selbst Projekte in Marokko und Deutschland initiiert, geleitet bzw. dich an welchen beteiligt. Wie siehst Du heutzutage die Wichtigkeit des akademischen und wissenschaftlichen Austausches zwischen Marokko und Deutschland, und den kulturellen Dialog zwischen Autor*innen und Schriftsteller*innen zwischen den beiden Ländern?

Gerade jetzt in der aktuellen angespannten politischen und gesellschaftlichen Gesamtsituation wird klar, wie wichtig die globale Zusammenarbeit ist. Ich bin sehr stolz, dass ich Projekte mit verschiedenen Ländern habe, um die klinische und wissenschaftliche Zusammenarbeit zu stärken. Ich habe beispielweise ein großartiges Projekt, welches von GIZ und Bundesministerium unterstützt wird, wo wir mit Marokko aber auch mit Mali versuchen, die besten Therapiekonzepte für die Patienten mit Krebserkrankungen zu finden. Ich denke, dass es ist mehr als wichtig, dass die kulturelle Zusammenarbeit gestärkt und intensiviert wird. Ich bin dafür, existierende Barrieren abzubauen. Die kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit ist von größter gesellschaftlicher Bedeutung, um einen globalen Perspektivenwechsel zu erreichen. Und dafür setzte ich mich ein und dafür bin auch dankbar, dass ich von Deutschland aus und auch von Marokko unterstützt und bestärkt werde.

Könntest Du uns vielleicht verraten, ob du am nächsten belletristischen Werk arbeitest? Wenn ja, dürfen wir wissen, worum es im Großen und Ganzen geht?

Ich verrate Euch gerne ein paar Einzelheiten zu meinem nächsten Buch. Es wird eine wunderbare Geschichte sein, die einen Menschen, Karim aus Tanger, beschreibt, der in einem Streit mit seinem Vater ist, ihm unterwirft. Letztendlich hat er sich plötzlich im Deutsch-Französischen Krieg wiedergefunden, weil er dort als Legionär nach Frankreich geht und sich plötzlich auf einen der letzten Kriegsplätze des deutsch-französischen Kampf im 2. Weltkrieg wiederfindet und verletzt, im frühen Morgengrauen durch die Wälder geht und einem schwerverwundeten deutschen Soldaten begegnet, ihm sein letztes Wasser gibt. Der deutsche Soldat, Hans, dankt ihm und schenkt ihm seine Hundemarke und bittet ihm sein Leben weiterzuführen. Karim beerdigt den deutschen Soldaten und nimmt seine Identität an und wird als Patient in die Charité gebracht, wo Karim als Hans nun die deutsche Sprache und deren Welt erlernt. Mehr möchte ich noch nicht verraten.

Vielen Dank für das Interview.

 

Das Gespräch wurde  von Brahim Oubaha geführt.

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