Loading . . .
Zwischen Medizin und Kulturdiplomatie: Ein Gespräch mit Prof. Dr. Jalid Sehouli über deutsch-marokkanische Diplomatie, Literatur und interkulturellen Dialog
Read Time:7 Minute, 39 Second

Zwischen Medizin und Kulturdiplomatie: Ein Gespräch mit Prof. Dr. Jalid Sehouli über deutsch-marokkanische Diplomatie, Literatur und interkulturellen Dialog

2 0

Interview von Abderrahim Bougayou

Foto: Christian Festag

Wer deinen Namen im Internet sucht, stößt als erstes auf die Information, dass du Krebsspezialist und Wiseenschaftler bist. Parallel dazu arbeitest du auch als Hochschullehrer, bist Autor belletristischer Werke und engagierst dich mit deinen Aktivitäten in der Kulturdiplomatie. Dieses Thema haben wir zum Schwerpunkt der neuen Ausgabe unseres Magazins gemacht, darüber möchten wir heute mit dir sprechen. 

 

 

2020 durfte ich eine Lesung von dir in Berlin-Neukölln moderieren und habe gesehen, dass du eine schöne marokkanische Teekanne dabei hattest, die du aber am Lesungsort vergessen hast. Brahim Oubaha, unser stellvertretender Chefredakteur, der sie für dich aufbewahrt hat, berichtete mir später, wie wichtig dir diese Teekanne ist. Er brachte sie dir zurück. Diese Teekanne ist in deiner Instagram-Story auf einer Veranstaltung wieder zu sehen. Was bedeutet diese Kanne für dich? 

Die Teekanne ist für mich ein Symbol von Haltung, Offenheit und Toleranz, denn meine Mutter wusste doch gar nicht, mit wem sie in Deutschland in der Ferne, in einem Land, das sie nicht kannte, dessen Sprache sie nicht sprach, die Teezeremonie überhaupt durchführen wird, wen sie einladen wird, wie sie diese Menschen einladen kann und ob es überhaupt marokkanische Minze in Deutschland gibt. Trotzdem sind Bereitschaft und Haltung Grundvoraussetzung für jeglichen Dialog und das ist für mich das Symbol der Teekanne.

Bleiben wir noch weiter beim Tee. Teetrinken in Marokko hat seine Tradition: man pflegt bestimmte Rituale beim Einschenken des Tees sowie auch bei dessen Zubereitung. Hier bestehen durchaus regionale Unterschiede. Eins aber steht überall fest: das Teetrinken lädt zum Gespräch ein. Lädst du symbolisch mit deiner Teekanne zum interkulturellen Dialog ein?  

Teezeremonien sind eine wunderbare Möglichkeit, interkulturell zu agieren. Das Interkulturelle bedeutet, dass zwischen verschiedenen Kulturen unterschiedliche soziale Erfahrungen ausgetauscht werden. Die Voraussetzung hierfür ist das Zuhören, das Beobachten und nicht das Bewerten. Wenn man sich auf diesen Dialog einlässt, wird man sehen, egal von welcher Kultur wir sprechen, dass es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gibt. Daher möchte ich alle Menschen aufrufen die unterschiedlichsten Teezeremonien kennen zu lernen.

Du bist Arzt und gleichzeitig Brückenbauer zwischen Deutschland und Marokko, und einer der wichtigsten Kulturdiplomaten beider Länder. Wie schätzt du die Rolle der Kulturdiplomatie zwischen den beiden Ländern?

Die Kultur ist für mich persönlich Grundvoraussetzung jeglicher Beziehung. Kultur und Wissenschaft sind das Rückgrat der Interaktion zwischen Nationen. Und daher freue ich mich sehr über die verschiedensten kulturellen und wissenschaftlichen Aktivitäten zwischen Marokko und Deutschland. Ich habe selbst ein Projekt mit den Universitäten in Marokko, wo wir gemeinsam Tumorkonferenzen und auch Studien zum Thema Gebärmutterhalskrebs durchgeführt haben. Ich war u. a.  im Rahmen meiner Vortragsaktivitäten bzw. meiner Lesungen in verschiedenen Städten Marokkos unterwegs und war über die Freude der Studierenden und der Menschen sehr positiv beeindruckt. Obwohl ich ja selbst gar nicht in Marokko geboren bin, habe ich dieses Gefühl der Heimat gespürt. Kultur und Wissenschaft erlauben auch das Wort Heimaten und ermöglichen dieses Wort Heimaten, weil es um die Umgebung und um die Gestaltungsmöglichkeit eines einzelnen Menschen geht. Ich denke aber, dass die Aktivitäten in der Kultur und Wissenschaft zwischen Marokko und Deutschland viel stärker in den Fokus gesetzt werden müssen und wir hierfür auch professionelle Rahmenbedingungen etablieren müssen. Wir sollen zum Beispiel bei der deutsch-marokkanischen Literatur aber auch in der Wissenschaft vielmehr die unterschiedlichen Generationen einbinden, selbst wenn sie nicht mehr Marokkanisch sprechen können, denn eine interkulturelle und interwissenschaftliche Intensivierung der Zusammenarbeit ist auch für den gesamten Globus relevant.

Wir haben im letzten Jahr eine Krise in der deutsch-marokkanischen Diplomatie erlebt. Kann man sagen, dass es sich hier um eine rein kulturelle Kommunikationskrise handelte?

Die diplomatische Krise hatte leider auch starke Auswirkungen auf die Interaktion auf kultureller und wissenschaftlicher Ebene und das hat mich persönlich sehr bedrückt, weil es um Menschen, Veränderungen, Verbesserungen, Stabilisierung von Konzepten, Austausch und Abbau von Vorurteilen geht. Es geht um Synergismen zur Verbesserung der Gesundheit oder der Stärkung kultureller Vielfalt. Und deswegen finde ich diesen Begriff der Kulturdiplomatie sehr gut, sodass wir uns vielleicht darüber verständigen sollten, für den deutsch-marokkanischen Dialog kulturelle Botschafterinnen und Botschafter auszurufen und sie dann auch zu unterstützen.

Was können wir aus dieser letzten Krise zwischen Marokko und Deutschland für die Zukunft lernen?

Es ist so wichtig, dass wir aus Krisen lernen, um andere Krisen vorzubeugen oder sie früher beenden zu können und deswegen denke ich, dass wir aus dieser Schwierigkeit der letzten Jahre lernen müssen. Wir sollten einen breiten gesellschaftlichen Dialog einbinden, der nicht nur rein politisch, sondern auch zwischen den kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen und auf der bürgerlichen Ebene stattfindet. Wir sollten auch Kommunikationskanäle strukturiert und nachhaltig aufbauen, um wenig Raum für Spekulationen und Fake News zu lassen, damit wir eine kontinuierliche Kommunikationskultur etablieren können.  Als Beispiel ist hier das wunderbare TimaMagazin zu nennen, aber auch andere Wege und Möglichkeiten über Radiosender, Fernsehsender und soziale Medien. Ich glaube, das sollten wir lernen und über regelmäßige Treffen kann man bei vielen Dingen vorbeugen. So wie man einem Darmkrebs vorbeugen kann, kann man auch Krisen vorbeugen! 

Du hast letztens auf einer Veranstaltung im Deutschen Bundestag Herrn Laschet deinen Roman „Und von Tanger fahren die Boote nach irgendwo“ geschenkt. Damit lädst du den ehemaligen Kanzlerkandidaten auf eine Reise nach Tanger ein. Denkst du, dass die Politiker:innen mehr den Kulturschaffenden näher kommen und mit ihnen enger zusammenarbeiten sollten?

Ich freue mich sehr, dass meine Bücher sowohl unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck, unsere ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, der ehemalige Vizekanzler Guido Westerwelle und auch jetzt Armin Laschet haben. Ich denke, dass es ihnen gefallen wird, und auch das Feedback war bisher extrem gut. Ich denke, dass wir uns über Literatur einem Land und seiner Kultur sehr gut nähern können und dass die Literatur uns erlaubt, uns von den Stereotypen in unseren Köpfen zu lösen, sie als intimen Freund wahrzunehmen, der uns dann durch Ängste und Vorurteile zur Realität führt. Deswegen freue ich mich sehr, dass diese Literatur ein wunderbares Instrument ist, in Dialog zu gehen. Und ich weiß, dass auf Basis meiner Bücher viele Menschen bereits das wunderbare Land Marokko besucht haben und begeistert waren. 

In deinen literarischen Werken zeigst du die Vielfalt Marokkos und seine mediterrane und afrikanische Identität. Wie ist das Bild Marokkos in Deutschland? Herrscht hier immer noch das exotische Bild von 1001 Nacht? 

In meinem Buch zeige ich die Vielfalt von Marokko und ich bin selber immer wieder überrascht, wie vielfältig Marokko nicht nur in der Geographie, sondern auch in Sprache und Geschichte war und ist.  Deswegen denke ich, dass viele Menschen noch ein mystisches oder oberflächliches Bild von Marokko in sich tragen. Ich selbst habe Marokko und die Orte teilweise erst bei der 5. und 6. Reise kennen gelernt und gespürt. Und so ist es auch bei den Menschen. Es reicht nicht, einmal einem Menschen zu begegnen, man muss sich immer wieder in den Dialog und in Beziehung begeben. Mit meinen literarischen Werken Marrakesch und Tanger, welche schon in verschiedene Sprachen übersetzt worden sind, hoffe ich, einen Beitrag dafür zu leisten. 

Kann man sagen, dass ein Update über die neue Realität Marokkos in Deutschland gebraucht wird? 

Ich denke, dass wir in einer sehr schnelllebigen Zeit unterwegs sind und dass wir zu wenig Zeit haben zu entschleunigen und nachzuarbeiten. Erst dann ist es möglich, weiter fein zu justieren und sich daran zu messen, wie viel wir aus der Vergangenheit noch wissen. Ich denke, dass wir durchaus eine konzertierte Aktion benötigen, um die Geschichte Marokkos auch in Beziehung zu Deutschland zu visualisieren, zu artikulieren und zu kommunizieren. Dabei fällt mir beispielsweise die Geschichte des Kommunismus, die Befreiung und die Weiterentwicklung von Afrika für die globale Gesellschaft ein. Das braucht, denke ich, eine konzertierte Aktion gegen das Vergessen.

In Deutschland hat die marokkanische Gemeinschaft ein hohes Potenzial für Verstärkung der Präsenz marokkanischer Kultur in Deutschland. Wie siehst du diese Präsenz?

Ich war ganz stolz, hier in Berlin Tahar Ben Jelloun bei einer Veranstaltung im Pergamonmuseum kennengelernt zu haben. Als ich über meine Bücher sprach, war er sehr stolz darauf, dass ich zu der dritten Generation in der Literatur gehöre. 

Die Marokkaner:innen können schreiben, wenn sie in Marokko leben, aber auch wenn sie das Land verlassen haben, in dem sie geboren sind. Sie können auch schreiben, wenn sie eine zweite Nationalität besitzen, weil sie in einem anderen Land geboren sind. Sie können einfach über Marokko, über die Seele Marokkos und dessen Vielfalt und Farbe schreiben. Das ist auch ein Teil der Kultur, die dann weiter existiert und eine neue Kultur schafft. Daher würde ich mich freuen, wenn wir viel stärker die großen Potenziale der marokkanisch- stämmigen Menschen in der Kultur, aber auch in der Wissenschaft für einen globalen Ansatz nutzen, um etwas Neues und einen Dialog über die Generationen hinweg zu schaffen. 

Es war schön, dass ich beispielsweise vom Goethe-Institut eingeladen war, als marokkanischer Berliner Junge eine Lesereise durchzuführen. So konnte ich in der deutschen Sprache, die ich sehr gut beherrsche, über das Land, die einzelnen Städte, die kulinarische Vielfalt und die spirituelle Freiheit erzählen. Das Herz spricht alle Sprachen und wir sollten weiter dafür sorgen die Herzen für Marokko gemeinsam schlagen zu lassen.

Dieser Beitrag erschien erstmalig 2023 im Magazin „TIMA“. Diese Ausgabe ist bei Amazon erhältlich unter: https://www.amazon.de/dp/B0BW2JDHD8

Happy
Happy
0 %
Sad
Sad
0 %
Excited
Excited
0 %
Sleepy
Sleepy
0 %
Angry
Angry
0 %
Surprise
Surprise
0 %

Average Rating

5 Star
100%
4 Star
0%
3 Star
0%
2 Star
0%
1 Star
0%

One thought on “Zwischen Medizin und Kulturdiplomatie: Ein Gespräch mit Prof. Dr. Jalid Sehouli über deutsch-marokkanische Diplomatie, Literatur und interkulturellen Dialog

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Previous post Hamid Boukheraz – ein vielseitiger, interkulturell orientierter Künstler
Next post „Wenn ich in Talborjt bin oder im Quartier industriel, dann weiß ich, ich gehöre hierher…“