Text: TIMA magazin
„Von klein auf war ich immer auf der Suche – auf der Suche nach dem, was mich bewegte, was ein Feuer in mir entfachte, was mich wirklich lebendig fühlen ließ.“
Mit diesen Worten beginnt Hanane Arohel ihre Geschichte – eine Geschichte, die nicht nur von Kunst erzählt, sondern von einer tiefen, existenziellen Verbindung zu ihr. Schon im Kindesalter wurde das Zeichnen für sie zur Sprache: „Zeichnen wurde meine Sprache, noch bevor ich Worte wirklich verstand.“ Es war der erste Ausdruck ihrer inneren Welt – still, intensiv, voll Vorstellungskraft.
Bereits mit sechs Jahren begann sie zu zeichnen. Ihre Leidenschaft für Kreativität wuchs mit ihr, bis sie im Gymnasium eine entscheidende Entdeckung machte: „Ich fand heraus, dass es einen Weg gibt, der dem gewidmet ist, was ich am meisten liebe: den angewandten Künsten.“ Der Gedanke, Kunst nicht nur auszuüben, sondern auch zu studieren, war für sie „ein aufregender Moment“, den sie mit Entschlossenheit verfolgte. Sie schrieb sich an der angesehenen École des Beaux-Arts in Casablanca ein – ein Traum wurde Wirklichkeit.
Doch das Leben stellte sie auf die Probe. „Leider musste ich mein Studium aus persönlichen und finanziellen Gründen unterbrechen, aber meine Leidenschaft hat nie nachgelassen.“ Diese ungewollte Zäsur führte sie auf einen anderen Weg – einen, der sie als Künstlerin ebenso stark prägen sollte: die Lehre. Nach langer Suche fand sie eine Stelle als Kunstlehrerin bei Global Art. Was zunächst als Job begann, entwickelte sich schnell zu etwas Tieferem:
„Was als Rolle begann, wurde schnell zu einer der bedeutendsten Erfahrungen meines Lebens.“
Zwei Jahre lang unterrichtete sie Kinder und Erwachsene – nicht nur Technik, sondern Hingabe, Ausdruck, Selbstvertrauen. „Dieses Teilen meines Wissens, das Wachstum anderer zu sehen und diesen kreativen, vertrauensvollen Austausch zu erleben – das war transformierend.“ Es war die Erkenntnis, dass Kunst mehr ist als das fertige Werk. Sie ist Begegnung.

In Essaouira, wohin Hanane später zog, fand sie einen Ort, der ihren kreativen Rhythmus widerspiegelt: ruhig, offen, inspirierend. Hier bereitet sie ihre erste Einzelausstellung vor – und arbeitet dabei in jenen Stilen, die sie am stärksten berühren: Abstraktion und Surrealismus.
„Ich habe mich nie dazu hingezogen gefühlt, die Realität zu reproduzieren; stattdessen nutze ich meine Kunst, um Emotionen, Dunkelheit und Gefühle auszudrücken.“
Ihre Werke sind Spiegel ihres Innenlebens – nicht angepasst, nicht glatt, sondern ehrlich und roh.
„Meine Gemälde sind Reflexionen meiner inneren Welt – manchmal chaotisch, manchmal still, immer aufrichtig.“
Für Hanane Arohel ist Kunst kein schöner Zeitvertreib. Sie ist ihre Lebensweise:
„Es ist die Art, wie ich die Welt begreife. Es ist, wie ich heile, wie ich spreche, wie ich mich verbinde. Jeder Pinselstrich trägt ein Stück von mir.“
Und genau dieses Stück – offen, mutig und voller Gefühl – lädt die Betrachtenden ein, nicht nur ein Bild zu sehen, sondern einem Menschen zu begegnen, der sich durch seine Kunst immer wieder neu erfindet.
Ein Blick in Hanane Arohels Werke – mit persönlichen Erklärungen der Künstlerin
1. Schatten
Dieses Werk zeigt drei Figuren. Die erste, die „Augen-Person“, hält sich schockiert eine Hand vors Gesicht. Mit ihr verbunden ist eine zweite Figur – ein teuflisches, groteskes Gesicht mit einem verzerrten Lächeln. Die dritte erscheint zunächst wie ihr Schatten, doch bei näherem Hinsehen entpuppt sie sich als Replik der zweiten Figur. Die Augen-Person sieht nur diesen Schatten – ahnungslos gegenüber der monströsen Präsenz, die an ihr haftet. Es ist diese verzerrte Spiegelung, die sie am meisten erschreckt.
„Dieses Kunstwerk hat einen besonderen Platz in meinem Herzen – inspiriert von einem Moment, den ich nie vergessen werde. Auf dem Heimweg sah ich einen alten Mann in einer Djelaba, der vor seinem eigenen Schatten davonlief. Nichts machte ihm mehr Angst – nicht einmal der Verkehr um ihn herum. Hin und her rannte er, verzweifelt bemüht, ihm zu entkommen. Dieses Bild ließ mich nicht los: War sein Schatten nur ein Schatten – oder die Projektion von etwas viel Tieferem? Könnte es sein, dass seine größte Angst er selbst war?“
2. Endlose Liebe
Diese Illustration fängt die schmerzhafte Schönheit unerwiderter Liebe ein. Ein Herz, eng umschlungen von einer Schlange, offenbart das emotionale Gewicht des Schweigens. Die Schlange – Symbol für Versuchung, Wahrheit und Verletzlichkeit – schlägt ihre Zähne in einen Arm, der sich zurückbiegt und eine Hand formt, die einen Stift hält. In dieser zyklischen Bewegung zeigt sich, wie Schmerz Kreativität nährt: Die Hand schreibt nieder, was das Herz ertragen hat – und verwandelt stille Liebe in Kunst.
„Inspiriert von einer wahren Geschichte: Ein Mädchen liebte neun Jahre lang aus der Ferne – ihr Herz voller Gefühle, ihre Stimme ungehört. Selbst als der Junge es schließlich wusste, gehörte er nie wirklich ihr. Diese Zeichnung zeigt eine Liebe, die nie ihr Eigen war, sie aber dennoch tief geprägt hat.“
3. Kunst ist der Spiegel der Seele
Man sagt, die Augen seien das Fenster zur Seele – aber was, wenn Kunst das auch ist? In diesem Werk begegnet die Künstlerin ihrem eigenen Spiegelbild – nicht durch Glas, sondern durch das, was sie erschafft. Was das Auge sieht, bringt die Hand zum Ausdruck. Kunst wird zum Echo der Seele.
4. Doppeltippen
Dieses Werk beleuchtet die emotionale Belastung unseres digitalen Alltags. Zwei Augen, durchbohrt von blutenden Herzen und verstrickt in wurzelähnliche, dunkle Linien, stehen für das stille Leiden, das durch ständiges Vergleichen im Netz entsteht. Die Augen sind offen – sie schauen, scrollen, vergleichen. Die Herzen darin bluten – ein Sinnbild für den unsichtbaren Schmerz, der sich einstellt, wenn wir anderen beim Leben zusehen, das wir uns selbst wünschen.
„Wir tippen doppelt, ohne zu merken, dass jeder Klick Spuren in unserem eigenen Herzen hinterlässt. Dieses Werk ist eine Reflexion darüber, wie uns die ständige Konfrontation mit geschönten Realitäten verletzen kann – oft unbemerkt. Es erinnert uns daran, wegzusehen vom Bildschirm – und wieder zu uns selbst hin.“
5. Auge des Booms
Eine surreale Verschmelzung von Natur und Wahrnehmung: Diese Zeichnung zeigt eine Blume in Form eines Auges. Ihre Blütenblätter entfalten sich wie Wimpern und verwischen die Grenze zwischen dem, was wir sehen – und dem, was uns sieht. Feinste Linien ziehen sich in hypnotischen Mustern nach außen und erzeugen einen traumähnlichen, fast psychedelischen Effekt. Das Auge zieht die Betrachtenden immer tiefer in seine vielschichtige Bedeutung hinein.
„Ist es eine Vision von Schönheit, Bewusstsein – oder etwas, das von innen heraus erblüht? Dieses Werk lädt zur Selbstreflexion ein und ruft zugleich Ruhe und das wilde Chaos des Denkens hervor.“
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