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Marokkos Tierschutz im Wandel: Ein Gespräch mit Dr. Abderrahime Bahmid
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Marokkos Tierschutz im Wandel: Ein Gespräch mit Dr. Abderrahime Bahmid

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Aus Agadir gibt Dr. Abderrahime Bahmid, Leiter der Santa Cruz Klinik, Einblicke in die Veterinärmedizin, die Herausforderungen zwischen Stadt und Land und die neuen Gesetze zum Schutz streunender Tiere in Marokko.

In den letzten Jahren hat Marokko ein wachsendes Bewusstsein für Tierschutz und einen menschlicheren Umgang mit Tieren entwickelt. Die Pflege von Haustieren und Straßenhunden und -katzen erfährt immer mehr Aufmerksamkeit – sowohl von Bürgerinnen und Bürgern als auch von Behörden und Tierschutzorganisationen.

Dr. Abderrahime Bahmid, Leiter der Santa Cruz Klinik in Agadir, ist einer der engagiertesten Vertreter dieses Ansatzes. Bekannt für seine fachliche Kompetenz und seine menschliche Haltung, spricht er in diesem Interview über seinen persönlichen und beruflichen Werdegang, die kulturellen und religiösen Hintergründe der Tierhaltung in Marokko und über den aktuellen Stand der Veterinärmedizin im Land.

  1. Herr Dr. Bahmid, bevor wir über Ihre aktuelle Arbeit sprechen: Erzählen Sie uns bitte etwas über Ihren persönlichen Werdegang. Wie begann Ihre Beziehung zu Tieren, und warum haben Sie sich für den Beruf des Tierarztes entschieden?

Dr. Bahmid:
Ich wurde in der kleinen Stadt Biougra im Süden Marokkos geboren und wuchs dort auf. Es ist eine ruhige, landwirtschaftlich geprägte Gegend. Dort absolvierte ich meine Schulbildung und machte das Abitur, bevor ich an das Landwirtschafts- und Veterinärinstitut Hassan II (IAV) in Rabat ging, wo ich Veterinärmedizin studierte und meinen Abschluss machte.

Nach dem Studium entschied ich mich, in meine Region zurückzukehren und meine eigene Praxis in Agadir zu eröffnen – trotz der vielen Herausforderungen am Anfang, da ich überzeugt war, dass der Süden moderne tierärztliche Dienstleistungen dringend benötigt.

Meine Verbindung zu Tieren begann schon in der Kindheit. Wie viele Kinder in Marokko spielte ich mit StraĂźenkatzen und -hunden, fĂĽtterte sie und kĂĽmmerte mich um sie, so gut ich konnte. Aus dieser einfachen, ehrlichen Liebe zu Tieren entstand meine Berufung.

 

  1. Wie würden Sie die Beziehung der Marokkaner zu Tieren – insbesondere zu Katzen und Hunden – beschreiben?

Dr. Bahmid:
Im Allgemeinen ist die Beziehung positiv, unterscheidet sich jedoch je nach Person und Region.
Katzen sind tief in unserer Alltagskultur verwurzelt und überall zu finden – in Moscheen, Cafés und auf Märkten. Viele Menschen füttern sie, auch wenn sie ihnen nicht gehören.

Hunde sind komplexer. In Städten gelten sie manchmal als gefährlich, etwa wegen Tollwut. In ländlichen Gegenden sind sie jedoch oft Teil der Familie, bewachen Haus und Vieh und begleiten ihre Besitzer auf den Feldern. Das zeigt, dass Tiere immer ein Teil des sozialen und emotionalen Lebens in Marokko waren.

Aus meiner beruflichen Erfahrung bringen viele Marokkaner verletzte oder kranke Tiere zum Tierarzt oder arbeiten mit Tierschutzorganisationen zusammen. In Agadir gibt es hier erfolgreiche Initiativen wie Sara Morocco oder You Can Save Me.

 

  1. Mit welchen Fällen haben Sie in Ihrer Klinik am häufigsten zu tun?

Dr. Bahmid:
Die häufigsten Fälle betreffen Katzen – Infektionen, Parasiten oder Verkehrsunfälle.
Bei Hunden behandeln wir vor allem Hautkrankheiten, Virusinfektionen und KnochenbrĂĽche.

Es gibt aber auch traurige Fälle, etwa wenn Tiere ausgesetzt oder misshandelt wurden. In solchen Situationen reicht Medizin allein nicht aus; das Tier braucht Zuwendung und Fürsorge, um Vertrauen zum Menschen wieder aufzubauen.

 

  1. Marokko hat kürzlich das Gesetz Nr. 19.25 zum Schutz streunender Tiere verabschiedet, das auf dem Konzept Sammeln, Sterilisieren, Impfen und Zurückführen (TNVR) basiert. Wie bewerten Sie dieses Gesetz fachlich und humanitär?

Dr. Bahmid:
Ich halte das Gesetz Nr. 19.25 für einen sehr wichtigen und positiven Schritt. Zum ersten Mal gibt es in Marokko einen klaren rechtlichen Rahmen, der streunende Tiere nicht nur als Sicherheits- oder Gesundheitsproblem betrachtet, sondern auch als ethisches und humanitäres Anliegen.

Das TNVR-System hat sich wissenschaftlich und moralisch bewährt: Es reduziert die Zahl der Straßenhunde und -katzen auf humane Weise, ohne Tötungen. Das Gesetz verpflichtet Tierhalter zur Registrierung, fördert öffentliche und private Tierheime und schafft eine nationale Datenbank zur Nachverfolgung von Tieren.

Wenn es in enger Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Tierärzten und Tierschutzorganisationen umgesetzt wird, kann es die Situation deutlich verbessern und Marokko zu einem regionalen Vorbild machen.

 

  1. Wie würden Sie die aktuelle Situation des Veterinärsektors in Marokko beschreiben?

Dr. Bahmid:
Der Sektor zeigt eine klare Zweiteilung. In den großen Städten entwickelt sich die Veterinärmedizin stark: moderne Kliniken, engagierte Tierärzte und eine wachsende Sensibilität der Bevölkerung für Tiergesundheit. Die Nachfrage steigt, und viele investieren in die Pflege ihrer Tiere.

In ländlichen Gebieten ist die Situation anders. Obwohl die Menschen täglich mit Tieren leben, fehlt oft das Bewusstsein und die Möglichkeit, die Tiere zum Tierarzt zu bringen oder die Kosten zu tragen.

Der Sektor entwickelt sich kontinuierlich, aber die Versorgung von streunenden Tieren erfordert echte Kooperation zwischen Behörden, Vereinen und Tierärzten, um nachhaltige Lösungen wie Impf- und Kastrationsprogramme umzusetzen.

 

  1. Wie sehen Sie die Zukunft des Tierschutzes in Marokko?

Dr. Bahmid:
Ich bin sehr optimistisch. Es gibt eine neue Generation junger Marokkaner, die an Tierrechte glaubt, sowie engagierte Vereine, die Adoptions-, Sterilisations- und Impfkampagnen durchführen. Das Bewusstsein der Bevölkerung wächst zunehmend.

Wenn dieses Bewusstsein anhält und durch staatliche Unterstützung begleitet wird – etwa durch Tierheime und Bildungsprogramme – könnte Marokko bald ein afrikanisches Vorbild für Tierschutz und humanen Umgang mit Tieren werden.
Ich hoffe, dass eines Tages keine streunenden Tiere mehr auf unseren Straßen leben müssen und jedes Tier die Pflege und den Schutz erhält, den es verdient.

 

Wir danken Ihnen ganz herzlich fĂĽr Ihre Zeit und die wertvollen Einblicke in Ihre Arbeit und die Situation des Tierschutzes in Marokko.

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