Loading . . .
Said Achtouk – Ein Meister der Amarg-Dichtung und Musik
Read Time:3 Minute, 34 Second

Said Achtouk – Ein Meister der Amarg-Dichtung und Musik

0 0

 

Text: TIMA magazin

 

Die kulturellen Landschaften Nordafrikas sind reich an Musik- und Dichtkunst. Im Südwesten Marokkos ist es vor allem die Tradition des Amarg, die diese Region prägt. Amarg bedeutet im Amazigh zunächst Sehnsucht oder Poesie – und im übertragenen Sinn auch die Musik, in der diese Poesie gesungen und getanzt wird. Große Künstler wie El-Hadj Belâid, Boubaker Anchad oder Mohamed Albensir haben dieses Genre berühmt gemacht. Unter ihnen nimmt Said Achtouk (1930–1989) einen besonderen Platz ein. Mit seinem einzigartigen Stil, seiner tiefgründigen Poesie und seiner charismatischen Bühnenpräsenz gilt er bis heute als Legende der amazighischen Musik.

 

Kindheit und Herkunft

Said Achtouk, mit bürgerlichem Namen Bizran, wurde Anfang der 1930er-Jahre im Dorf Izouran (Idaou-Bouzia, Souss) geboren. Sein Beiname „Achtouk“ verweist auf seine Herkunft aus der großen Konföderation der Achtouken.

Sein Vater war Dorfgelehrter (fqih) und brachte ihm den Koran, Lesen und Schreiben bei. Musik galt in seiner Familie jedoch als religiös verboten und gesellschaftlich anrüchig. Als der Vater ihn mit einer Laute (lutar) beim Üben ertappte, zerschlug er das Instrument auf seinem Kopf. Doch Achtouk blieb unbeirrbar und setzte sich gegen alle Widerstände durch – ein frühes Zeichen seiner Entschlossenheit.

Sein Vater stellte ihm später zwei Bedingungen: Keine kommerziellen Tonaufnahmen und keine Emigration nach Europa. Achtouk hielt sich daran: Viele seiner Aufnahmen stammen von heimlichen Mitschnitten seiner Auftritte. Trotz zahlreicher Angebote zog er es vor, in Marokko zu bleiben und seiner Heimat treu zu bleiben.

 

Ein Leben fĂĽr Kultur, Musik und Gemeinschaft

Neben seiner künstlerischen Tätigkeit engagierte sich Achtouk auch sozial und politisch. Er war Mitglied des Gemeinderats von Belfaâ, unterstützte den Fußballverein von Biougra und verfolgte leidenschaftlich die Clubs Hassania und Raja Agadir. Selbst in der Landwirtschaft versuchte er sich, allerdings ohne großen Erfolg. Bis zu seinem Tod am 7. September 1989 blieb er ein vielseitiger und engagierter Mann – und ein Künstler mit großer Strahlkraft.

 

Die Schule des Ajmak

Seine musikalische und poetische Ausbildung erhielt Achtouk in der Tradition des Ajmak, einer Form poetischer Wettkämpfe und Tänze in den Stämmen der Achtouken. Zwei Gruppen von Sängern treten dabei in improvisierten Reimduellen gegeneinander an, begleitet von Tanz und Rhythmus.

Diese Wettbewerbe waren streng und anspruchsvoll: Nur wer sprachlich brillant, witzig und tief in den Traditionen verwurzelt war, konnte bestehen. Für Achtouk war der Ajmak eine prägende Schule – er lernte dort nicht nur Sprache und Metrik, sondern auch Disziplin, Ausdauer und die Kunst, mit Publikum in Resonanz zu treten.

Später wandte er sich dem Amarg zu, lernte autodidaktisch Instrumente wie lutar und rribab und schloss sich 1959 kurzzeitig der Truppe von Ahmed Amentag an. Schon bald gründete er sein eigenes Ensemble und entwickelte einen unverwechselbaren Stil.

 

Der KĂĽnstler und seine Kunst

Achtouk war ein begnadeter Musiker, Sänger, Dichter und Performer. Seine Auftritte fanden vor allem bei Hochzeiten, religiösen Festen und regionalen Märkten statt. Dort schuf er eine unmittelbare Nähe zu seinem Publikum – ein Wechselspiel von Musik, Poesie, Humor und Interaktion.

Seine Gedichte (iqsiden) sind oft lang und thematisch vielfältig. Sie verbinden klassische Verskunst mit Symbolik, Ironie und gesellschaftskritischen Anspielungen. Seine Stimme war warm und kraftvoll, seine Bühnenpräsenz charismatisch. Nicht selten sang er bis zur Erschöpfung, unterbrochen von Anekdoten und Wortspielen, die sein Publikum begeisterten.

 

Themen und Botschaften

Die Poesie Achtouks spiegelt das Leben seiner Zeit: Migration, Armut, Landflucht, Tradition und Modernisierung. Besonders aber sind seine Liebesgedichte bemerkenswert. In einer konservativen Gesellschaft wagte er es, Gefühle offen zu besingen und die Schönheit der Frau ins Zentrum zu stellen.

Dabei verband er poetische Überhöhung mit alltäglichen Bildern. Frauen erscheinen in seinen Versen wie funkelnde Diamanten, ihr Blick lässt ihn „schmelzen“, ihr Lächeln erschüttert seine Seele. Doch Liebe ist für ihn auch Quelle von Leid und Enttäuschung – nicht zuletzt wegen materieller Interessen, gesellschaftlicher Zwänge und missgünstiger Neider.

Mit melancholischem Ton beklagte er den Verlust wahrer Liebe in einer von Geld bestimmten Welt:
„Das Geld hat die Liebe getötet und alles verdorben.“

 

Ein bleibendes Erbe

Said Achtouk hinterließ ein riesiges Werk, das bis heute von Liebhabern der amazighischen Kultur geschätzt wird. Er hat nicht nur das Genre des Amarg erneuert, sondern ihm auch eine poetische Tiefe verliehen, die ihn weit über seine Zeit hinausstrahlen lässt.

Sein Mut, Tabus zu brechen, seine sprachliche Meisterschaft und sein musikalisches Talent machen ihn zu einem unvergesslichen Meister der Amazigh-Kunst.

 

Happy
Happy
0 %
Sad
Sad
0 %
Excited
Excited
0 %
Sleepy
Sleepy
0 %
Angry
Angry
0 %
Surprise
Surprise
0 %
Previous post Aznzar Ait Sadik – Mit dem Fußball Hoffnung in entlegene marokkanische Dörfer bringen